Walther von der Vogelweide: Leich, Lieder, Sangspruche: Ins Neuhochdeutsche ubersetzt von Thomas Bein. Auf der Grundlage der mittelhochdeutschen Textausgabe von Karl Lachmann (1827/1843), Christoph Cormeau (1996) und Thomas Bein (16. Auflage 2023) by Thomas Bein
In den Anfangen der Germanistik im fruhen 19. Jahrhundert, die zunachst fast nur eine altgermanistische Philologie war, gehorten Ubersetzungen nicht zum Basisgeschaft, ja sie waren in den Gelehrtenkreisen eher verpont. Entweder beherrschte man das Mittelhochdeutsche oder eben nicht. Aber schon einige Jahrzehnte spater mehren sich erste (Teil-)Ubersetzungen mittelhochdeutscher Klassiker, darunter naturlich Walther von der Vogelweide. Die Leistungen von Karl Simrock (1833ff.) und Friedrich Koch (1848) bilden den Anfang einer langen Reihe bis in unsere Gegenwart. Besonders von Amateuren im Sinne nicht akademischer Liebhaber vergangener Textkultur werden solche Transfers geschatzt, wahrend die Universitatsgermanistik schon bald auf die immensen grundlegenden Probleme solcher Ubertragungen aufmerksam macht und sich auch theoretisch im Austausch mit der Ubersetzungswissenschaft den Herausforderungen widmet. Die Versuche, den Nationallyriker Walther sprachlich zu adaptieren, sind kaum verlasslich zu zahlen. Warum also noch eine Ubersetzung?
Jede Ubersetzung hat ihre Zeit und diese wahrt nicht allzu lange. Aktuell gibt es zwei Ubersetzungen (G. Schweikle; H. Brunner), die modernen Anforderungen, was philologische Kompetenz und stilistische Ausgewogenheit angeht, standhalten. Altere Ubertragungen weisen z.T. veralteten Wortschatz auf oder wollen mehr Erneuerung denn Verstandnisbrucke sein. Die neue Ubersetzung von Thomas Bein ist allen anderen zunachst dadurch uberlegen, dass sie samtliche Texte ubersetzt, die in der mittelalterlichen Uberlieferung mit dem Namen Walther von der Vogelweide in Verbindung stehen. Basis ist die von Bein verantwortete 16. Auflage der Ausgabe Lachmann-Cormeau-Bein (2023). Die Ubersetzung bezieht erstmals auch verschiedene Lied-/Ton-Fassungen sowie alle im Anhang befindlichen Texte ein (letztere werden vielfach zum ersten Mal uberhaupt ubersetzt). Damit liegt der bislang umfangreichste und vollstandigste sprachliche Transfer des Walther vor. Er ist bemuht, einerseits philologisch genau zu sein, andererseits aber doch auch durch gewisse sprachliche und stilistische Freiheiten den anzunehmenden Ton der Texte zu treffen und in der Ubersetzung zu vermitteln. Ziel der Ubersetzung ist es, das literarisch, mentalitats- und kulturgeschichtlich beeindruckende Werk fur Studierende, fachfremde und allgemein kulturell interessierte Menschen zu offnen und es am Leben zu erhalten. Wie jede Ubersetzung ist auch diese ein gutes Stuck weit Interpretation. Es sei herzlich eingeladen, sie mit der separat erschienenen Basis-Edition kritisch zu vergleichen.